Dieses Kribbeln im Bauch...

Ich habe viele Leute in meinem Umfeld, die mit beiden Beinen im Datingleben stehen. Oft frage ich nach dem Date, wie es gelaufen ist und bekomme folgende Antwort: „Ja, es war ganz gut, wir haben uns gut verstanden und viel unterhalten, aber irgendwie ist da nichts…der Funke ist nicht so richtig übergesprungen.“ Die Erwartung, dass frühzeitig irgendeine Art von Gefühlen ins Spiel kommen müssen, damit das Ganze eine Chance hat, scheint weit verbreitet zu sein. Immerhin glauben laut einer Umfrage 76 % der Frauen und 23 % der Männer auch an die Liebe auf den ersten Blick. Deshalb habe ich mich gefragt, ob denn eigentlich wirklich nach wenigen Dates schon Schmetterlinge im Bauch fliegen müssen oder ob es reicht, sich erstmal gut zu verstehen. Wovon hängt es eigentlich ab, wann und in wen wir uns verlieben? Muss es immer Liebe auf den ersten Blick sein? Und wie lange hält das Verliebtsein überhaupt an, wenn es einmal dazu gekommen ist? So viele Fragen um dieses wunderbare Gefühl herum – ich habe versucht, Antworten zu finden.
Tanz der Moleküle und das Trio der Liebe
Widmen wir uns zunächst einmal der Frage, was diese ganzen Gefühle eigentlich sind, die da in unserem Körper ihr Unwesen treiben. Die einen finden die Vorstellung von Schmetterlingen im Bauch romantisch, die anderen vielleicht eher gruselig – schließlich waren das mal Raupen. Letztendlich lässt sich aber alles auf Neurotransmitter, aktive Hirnareale und Co. zurückführen. Kurzum: Liebe ist Chemie. Wenn wir uns verlieben, sind dabei Botenstoffe und Strukturen im Hirn tätig, welche auch bei Suchterkrankungen aktiv sind. Und es wird ein gewisses Stresslevel erzeugt, was in diesem Fall aber eher positiv ist. Verlässt man diese naturwissenschaftliche Ebene, bleibt irgendwie trotzdem die Frage nach einer Definition der Liebe. Was ist denn das überhaupt? Ein bekanntes psychologisches Konzept sagt, die Liebe setzt sich aus drei Komponenten zusammen: Intimität, Leidenschaft und Bindung. Intimität ist dabei nicht im sexuellen Sinne zu verstehen, sondern umfasst die emotionale Beziehung zueinander, Gefühle von Vertrautheit und Geborgenheit. Leidenschaft hingegen bildet eine körperliche und sexuelle Komponente ab. Zu guter Letzt lässt sich Bindung als kognitiver Aspekt beschreiben, bei dem man die Entscheidung trifft, eine Beziehung mit einer Person einzugehen und diese aufrechtzuerhalten. Diese Unterscheidung rufen wir uns später noch einmal ins Gedächtnis, wenn es um die Frage geht, wie lange das Verliebtsein anhält. Nun aber erstmal wieder ganz an den Anfang: Wann verlieben wir uns denn?
Liebe auf den ersten Blick vs. Freundschaft
Um diese Frage zu beantworten müssen wir uns zunächst einmal anschauen, welche Aspekte dazu führen, dass wir Gefühle für eine andere Person entwickeln. Eine Reihe von Studien zeigt, dass zwei Faktoren einen großen Einfluss darauf ausüben: das Gefühl, von der anderen Person gemocht zu werden und das Entdecken anziehender (Charakter-) Eigenschaften des Gegenübers, wozu neben der Persönlichkeit – wer hätte das gedacht – übrigens auch das äußere Erscheinungsbild zählt. Es klingt vielleicht zu einfach, aber ja, wenn wir wissen, dass jemand uns mag, mögen wir diese Person auch eher. Ein weiterer Punkt, der Einfluss auf den Prozess des Verliebens hat, ist die Nähe zur anderen Person. Und das sowohl im geografischen Sinne, also wie nah wir beieinander wohnen, als auch in dem Sinne, wie viel Zeit wir miteinander verbringen und wie oft wir aneinander denken. Wie in einem anderen Artikel schon mal erläutert, spielen darüber hinaus Ähnlichkeiten in unseren Einstellungen eine Rolle. Je mehr Übereinstimmungen, desto besser. Neben all diesen Aspekten existieren noch grundlegendere Punkte, wie die momentane Bereitschaft überhaupt eine Beziehung einzugehen oder die körperliche Erregung in der Situation.
Betrachtet man all diese Einflüsse, stellt man fest, dass einige davon recht schnell relevant werden und andere erst nach einem besseren Kennenlernen. Bei der Liebe auf den ersten Blick spielen vielleicht eher das Erscheinungsbild der Person, das Gefühl gemocht zu werden und die physiologische Erregung eine Rolle. Bei länger bestehenden Freundschaften als Basis für eine Beziehung sind es hingegen die Persönlichkeit des Gegenübers, Ähnlichkeiten in Einstellungen und die gemeinsam verbrachte Zeit. Ihr habt es vielleicht bereits befürchtet, aber man kann eben schlecht einen Zeitpunkt definieren, an dem man sich verliebt. Nach diesen Gesichtspunkten ist erst einmal beides möglich: Kribbeln im Bauch schon nach dem ersten Date oder nach dem Motto „Tausend mal berührt“ erst nach einiger Zeit in langjährigen Freundschaften. Doch ist das eine besser als das andere? Auch hierzu gibt die Forschung Antworten. Betrachten wir die Qualität von Beziehungen im Allgemeinen, so zeigen sich keine Unterschiede zwischen denen, die durch Freundschaften entstanden sind und denen, die Liebe auf den ersten Blick waren. Beide Beziehungsformen sind also gleich „gut“, zumindest eingestuft auf einer objektiven Skala. Werfen wir jedoch nochmal einen Blick auf unser Trio der Liebe, stellen wir einen Unterschied fest. Paare, die berichten, sich auf den ersten Blick verliebt zu haben, erleben in ihrer Beziehung mehr Leidenschaft als andere Paare. Das macht die Beziehung jedoch nicht unbedingt besser oder schlechter, sondern eben einfach nur anders. Warum die Leidenschaft bei Paaren, die sich schon länger kennen, nicht mehr so hoch ist, wird vielleicht bei der Beantwortung unserer nächsten Frage etwas deutlicher.
Alte Liebe rostet nicht
Wie lange hält denn dieses Verliebtsein an und kann Liebe für immer halten? Das Gefühl verliebt zu sein, also eher dieses Kribbeln im Bauch, hält im Schnitt für etwa zwei Jahre an, sagt Beziehungsexperte Professor Manfred Hassebrauck. Rufen wir uns nochmal ins Gedächtnis, dass bei diesem Gefühl auf physiologischer Ebene Stress und Suchtzustände entstehen, ist es vielleicht auch gar nicht so schlecht, dass das nicht für immer anhält. Wir sprechen hier also auch eher von einer körperlichen Komponente. In unserem Trio-Modell würde das am ehesten der Leidenschaft entsprechen. Untersuchungen zeigen, dass diese über die Zeit hinweg immer weniger wird. Das bedeutet aber nicht, dass die Liebe im Allgemeinen immer weiter abnimmt. Schließlich können die Intimität und die Bindung immer noch ein hohes Level haben. Man geht mittlerweile davon aus, dass die Leidenschaft eine Funktion der Veränderung der Intimität ist. Das bedeutet konkret, dass die Leidenschaft hoch ist, solange die Intimität ansteigt bzw. ansteigen kann. Gerade am Anfang einer Beziehung hat die Intimität ein hohes Potential sich zu vergrößern, denn man lernt sich gegenseitig gerade erst immer besser kennen und wird sich einander sicherer. Im Laufe der Jahre kennt man sein Gegenüber nahezu in und auswendig, die Intimität hat also ein stabiles Niveau erreicht. Dadurch nimmt die Leidenschaft gleichzeitig ab.
Dennoch ist es möglich, ein Stück dieser Leidenschaft wiederzuerlangen. Studien mit Paaren in Langzeit-Beziehungen haben ergeben, dass das gemeinsame Ausüben neuer und aufregender Aktivitäten die Beziehungszufriedenheit und auch die leidenschaftliche Liebe zumindest kurzfristig wieder erhöhen. Das liegt daran, dass Gewöhnungsprozesse unterbrochen werden, was übrigens auch der Grund dafür ist, weshalb das Verliebtsein in Fernbeziehungen oft länger anhält. Wer also nach langer Zeit mit seinem Liebling mal wieder Schmetterlinge erleben möchte, muss nur mal eben gemeinsam einen Marathon laufen, einen Besuch im Hochseilgarten machen oder was auch immer euch sonst so einfällt. Wer es nicht so sportlich mag, versucht vielleicht mal ein gemeinsames Dinner im Dunkeln.
Insgesamt lässt sich also sagen, dass ihr bei eurem nächsten Date nicht verzweifeln müsst, wenn es nicht gleich nach dem ersten Treffen funkt. Manchmal braucht das Verlieben seine Zeit. Setzt euch nicht unter Druck, genießt erstmal, dass ihr euch gut versteht und gebt dem Ganzen eine Chance. Oder andersherum, wenn ihr euch beim ersten Date gleich Hals über Kopf verliebt, ist auch das vollkommen in Ordnung. Beide Beziehungen können schön sein und sogar für immer halten. Auch wenn wir in Puncto Leidenschaft vielleicht hier und da mal etwas nachhelfen müssen.