Liebe heute via Internet?

Die Dating-App Tinder (sowie die noch primitiveren Alternativen) könnten als mobiler Zündstoff verstanden werden, die das Liebesfeuer immer und überall entfachen und lodern lassen. Klingt vielversprechend, doch fungieren sie tatsächlich nicht rein als Liebesvermittler. Der Liebe auf den ersten Wisch widerspricht eine amerikanische Studie, laut der Tinder seinen Nutzern vielmehr Zeitvertreib, Anerkennung und Steilvorlagen für kurze Sex-Abenteuer bietet. Der Ruf hinsichtlich des großen Liebesglücks ist durchaus miserabel. Der flüchtige Blick auf das Mobiltelefon vor dem alles entscheidenden Wisch lässt nämlich keinerlei Tiefe zu. Summa summarum brennt das Feuer durchschnittlich nicht lange. Doch diesen Apps stehen seriösere Plattformen entgegen, die sich der Tiefsinnigkeit und ernsthaften Romantik im weltweiten Netz widmen. Plattformen, auf der sich Akademiker, Singles mit Niveau und alle Liebessuchenden alle elf Minuten verlieben sollen oder sogar etwas Festes finden.
Die Nutzung solcher Online-Partnerbörsen ist nicht der verzweifelte Ausweg aus der eigenen Einsamkeit, sondern schlichtweg die selbstverständliche Anpassung an die Digitalisierung. Das Mobiltelefon liegt ohnehin ständig in greifbarer Nähe, also lässt es sich bei Bedarf auch locker flockig durch potenzielle Partner aus der Umgebung klicken. Ob nun im überfüllten Vorlesungssaal, während der Mittagspause in der Crêperie oder nach der morgendlichen Sportroutine am Aasee. Nach einer mehr als erschöpfenden Arbeitswoche darf das Bett gerne mal der Kirmes vorgezogen werden. Auch von dort lässt es sich wunderbar suchen und gefunden werden. Ruft zu Hause die lang aufgeschobene Anfertigung eines Essays schon bis zur Heiserkeit, können in einer fünfminütigen Verschnaufpause aktuelle Liebesanfragen überprüft und beantwortet werden. Es liegt doch auf der Hand: unser treues Funkgerät bietet uns zeit- und raumungebundene Partnersuche. Es ist stets im Bereitschaftsdienst.
Unterstützung kommt von der Psychologie
Neben dieser immer währenden Anwendungsmöglichkeit fördern psychologische Verfahren die Partnersuche um einiges. Basierend auf ausgewerteten Tests schlagen sie eine Handvoll ähnlich tickender Partner vor. Neuankömmlinge auf der Münsteraner Plattform WasFestes beantworten beispielsweise Fragen über ihre Lebenseinstellung und ihren Musikgeschmack, um zwischen einer Zusammenstellung einer auf sie zugeschnittenen potentieller Partner zu wählen. Selbst der Liebeskundigste erkennt durch bloßen Blick in einer gut besuchten Kneipe sicherlich nicht, welche Damen es mit absoluter Sicherheit anzusprechen lohnt.
Klingt doch alles nicht allzu befremdlich. Verkupplungen durch Bekannte agieren ähnlich wie die Auswertung psychologischer Tests. Zwei Liebessuchende, die dem Anschein des Freundeskreises möglicherweise zueinander passen, werden einander vorgestellt. Auch Partneranzeigen in der örtlichen Zeitung rufen wie ein Account im Internet: Hallo, hier bin ich! Die Suche wird einfach nur digitalisiert, obendrein durch psychologische Erfahrungswerte ausgeklügelt und individualisiert. Das Internet bietet seit seiner Geburtsstunde etliche Möglichkeiten zur Vereinfachung der Lebensweise, eben auch in der Partnersuche.
Früher war nicht alles besser
Zwar mögen die Liebesmärchen unserer Großeltern und Urgroßeltern und Ururgroßeltern so ganz ohne Technik vor dem ersten Rendezvous romantischer wirken, doch darf diese Nostalgie den Blick auf unsere heutige Vorstellung von Romantik nicht verzerren. Schließlich hatte ihre kontinuierliche Beziehungsbiographie, sprich Hochzeit in jungem Alter und eine Bindung, bis dass der Tod sie scheidet, vor allem folgenden Grund: eine vorzeitige Eheauflösung war wegen ihrer symbolisch-religiösen Kraft undenkbar. Ehepartner waren voneinander abhängiger, ihre Bindung hielt schlichtweg. Ihre romantische und ewige Liebe darf nicht auf der Analogie ihres Zeitalters, sondern auf der damaligen Lebensvorstellung begründet werden.
Letztlich sprachen meine Großeltern bei ihrem ersten Aufeinandertreffen im Hausflur über Sanitäranlagen. Die Prise Romantik kam mit den folgenden Verabredungen. Unserem Schicksal darf auch gerne mal ein Tritt in Richtung Liebe, also etwas Festem, gegeben werden. Und was ist eine zeitgemäßere und effizientere Art als die obendrein sehr kurzweilige Profilerstellung auf einer Dating-Seite? Das altbewährte Smartphone taugt eben auch in Sachen Liebe. Danke dafür!